[Nach einem Mord in München werden zwei wichtige Zeugen in Venedig Tod aufgefunden.
KOK Losbichler wird in die Lagunenstadt geschickt, um die Ermittlungen mit der
italienischen Polizei zu koordinieren.]
“Benvenuti
A Venezia” stand auf dem Schild über dem Bahnsteig. Losbichler und
seine Familie
bahnten sich erschöpft einen Weg durch die
Menschenmassen, die scheinbar wild durcheinander liefen.
Ankommende
und abreisende Touristen mit Koffern und Rucksäcken drängten sich
mit nach der Arbeit
heimwärts strebenden Venezianern in und aus dem
Pendelzug nach Mestre. Der Oberkommissar war
zu müde, um sich noch
aufregen zu können. Dank der hervorragenden Arbeit der Zugauskunft
in München hatten sie den durchgehenden bequemen und klimatisierten
Eurocity mit einer Reihe von
unkomfortablen anderen Zügen
vertauscht. Von vier Mal Umsteigen bei sommerlicher Hitze hatte man
Ihnen nichts erzählt.
Endlich war der Ausgang erreicht und sie
traten auf die breite Treppe vor dem Bahnhof hinaus. Von der
Treppe
war allerdings wegen der Schar der auf ihr Sitzenden nicht viel zu
sehen. Nur ein kleiner Bereich
wurde durch Absperrungen und zwei
Carabinieri freigehalten. Ein angenehm kühler Wind strich über
den
Vorplatz und ließ Claudia Losbichler nach der heftigen Hitze im Zug
fast ein wenig frösteln.
Losbichler zündete sich eine Zigarette an
und sog gierig den Rauch ein. In italienischen Zügen herrschte
absolutes Rauchverbot, was seine Stimmung nicht unbedingt verbessert
hatte.
Sie sahen sich um. Eigentlich hatte man versprochen, sie
abzuholen. Bis jetzt konnten sie aber
niemand entdecken. Der Blick
des Oberkommissars folgte einem Pagen in Livrée,
der einen riesigen
pinkfarbenen Hut zu einem Boot an der Kaimauer
geleitete. Unter dem Hut schaute eine lange blonde
Mähne heraus, die
in ein ebenfalls pinkfarbenes Dreimannzelt überging. Hinter dem Hut
trippelte ein
fast nacktes Hündchen von der Größe einer leicht
überdimensionalen Ratte. Dann folgte ein ebenfalls
livrierter
Gepäckträger, der sich mit einer ganzen Reihe riesiger Koffer
abmühte.
Noch amüsiert von diesem Anblick entdeckte er gleich neben
dem blank polierten Holz des Bootes
mit der goldenen Aufschrift
'Hotel Danieli' ein dunkelblaues Boot mit der Aufschrift 'Polizia'.
Davor stand
ein Mann mit kurzärmligem Hemd und eine junge Frau in
Uniform. Letztere hielt ein Schild in die Höhe,
auf dem 'Commissario
Losbichler' stand. Erleichtert hielt er darauf zu. Die Uniformierte
salutierte.
Dann stellte sich als Signorina Anardi vor und machte
Familie Losbichler mit Commissario Contarini bekannt.
Der Leiter, ein
Commissario Marinello, ließ sich entschuldigen.
Während das
Polizeiboot mit röhrendem Motor durch das Wasser des Canale San
Chiara
Richtung Hafen rauschte, informierte Elena Anardi Losbichler
über die weiteren Pläne:
„Wir fahren jetzt zum Hotel. Commissario
Contarini hat sie im Hotel Ca´Pisani untergebracht. Es ist
im Sommer
immer schwer, noch kurzfristig ein Zimmer zu bekommen.
Aber sie haben
Glück, der Commissario kennt den Portier, so konnten wir noch etwas
auf die Schnelle
für sie finden.
Heute Abend hole ich sie zum Essen
ab und zeige ihnen ein paar Restaurants, wo man noch gut und
erschwinglich Essen gehen kann, weil es dort kaum Touristen gibt.
Waren sie schon einmal in Venedig?“
Sie nahm das Kopfschütteln zu
Kenntnis:
„Gut, dann erzähle ich ihnen auch ein wenig über die
Stadt, damit sie sich zurechtfinden.
Und sollten sie, Frau
Losbichler, Fragen haben, wo man gut einkaufen kann, stehe ich
natürlich
auch zur Verfügung. Bei Problemen im Hotel wenden sie
sich an den Manager, er spricht gut deutsch.“
Auf dem Giudeccakanal
herrschte reger Bootsverkehr. Elena überließ die Gäste dem
Ausblick auf
die vorbeiziehenden Fassaden, die in der
Spätnachmittagssonne lagen. Sie näherten sich wieder dem Ufer.
Das
Aussteigen aus dem schwankenden Boot war nicht so einfach. Contarini,
ganz Gentleman,
bot Claudia Losbichler seinen Arm an. Auch griff er
sofort nach einem der Koffer und wies den Weg
in Richtung Hotel.
Keiner bemerkte dabei den jungen Mann, der aus einiger Entfernung fleißig Fotos von der Gruppe schoss.
[...]
Oberkommissar
Losbichler langweilte sich. Die venezianischen Kollegen gaben sich
alle Mühe.
Sie hatten ihn am Morgen in alle Details der Leichenfunde
eingeweiht. Man hatte ihn sogar mit dem Boot
an die Fundorte
gefahren. Leider konnte er die Fahrt durch die Stadt nicht genießen.
Schon gestern war
ihm aufgefallen, dass er anscheinend zur
Seekrankheit neigte.
Nach einem für seinen Geschmack viel zu kargen
Mittagessen saß er nun im Büro und starrte
auf einen Schreibblock.
Eigentlich wollte er sich weitere Notizen machen, nur fehlten ihm im
Augenblick
die Ideen. Elena Anardi erlöste ihn aus der Situation.
„Kommen sie, wir fahren zurück zum Hotel. Ich zeige Ihnen und
ihrer Familie die Stadt.“
„Bitte nicht schon wieder Boot fahren.“
Allein schon beim Gedanken an das über die Wellen hüpfende Boot
begann sein Magen zu rebellieren.
Die junge Frau, jetzt in Zivil
lachte:
„Na gut, gehen wir zu Fuß. Aber ich warne sie, das ist in
Venedig auch nicht ohne.“
Was sie damit gemeint hatte, wusste er,
als sie am Hotel eintrafen. Kleine verwinkelte Gässchen, die hin
und
wieder auf Größere stießen, dazwischen ab und zu mal ein Platz,
der diese Bezeichnung nicht
immer verdient hatte. Und immer wieder
Brücken, Treppe rauf, Treppe runter. Und schon kam die Nächste.
In
der Hitze des August war das auch für einen geübten Bergwanderer
nicht ohne viel Schweiß zu machen.
Er wischte sich über die Stirn.
Den Weg würde er nie allein wieder zurück finden. Alles sah gleich
aus,
die Häuser, die Brücken, alles. Elena, die seine Verzweiflung
ahnte, versuchte zu beruhigen:
„Mir ging es auch so, als ich
hierher kam. Aber man gewöhnt sich daran. Und dann ist es gar nicht
mehr
so schwer, sich zurecht zu finden.“
Sie traten in die Lobby,
wo sie von Claudia schon erwartet wurden.
„Schön, dass ihr schon
da seid. Wir wollten gerade los, als euer Anruf kam. Der Franzl ist
noch kurz
im Zimmer. Er kommt sicher gleich runter.“
Sie zog ihren
Mann beiseite und flüsterte:
„Hast du die Preisliste gesehen. Das
Zimmer kostet fast 600 Mark die Nacht. Das Hotel ist ja wunderbar,
aber ist das nicht eine Nummer zu groß für uns?“
Der
Oberkommissar erbleichte.
„Wieviel? 600 Mark? Der Chef wird mich
für die Spesenabrechnung teeren und federn lassen.“
Er hielt sich
an einem der wuchtigen Sessel fest.
„600 Mark“, hauchte er
tonlos.
„Ist ihnen nicht wohl? Wir hätten doch das Vaporetto
nehmen sollen. Setzen sie sich doch.“
Signorina Anardi bugsierte
ihn um den Sessel und drückte ihn hinein. Er griff nach seine
Zigaretten.
„Frau Anardi, gibt es nicht ein anderes Hotel? Ich
glaube, ich bekomme Schwierigkeiten wegen der Rechnung.
So für
hundert Mark pro Nacht, das wäre gerade noch in Ordnung.“
Sie warf
den Kopf in den Nacken und lachte schallend.
„Sie sind in Venedig.
Wissen sie was sie für hundert Mark die Nacht bekommen? Ich weiß
ein Hotel,
da bekommen sie für hundert Mark eine Stunde. Das ist aber kein Hotel für eine Familie.“
Sie lachte immer noch, während allmählich Farbe in Losbichlers Gesicht zurückkehrte.
„Außerdem“,
fügte sie hinzu, „haben wir August, Hauptsaison. Da gibt es noch
nicht mal im Danieli oder
im Grünwald noch Zimmer. Sie können von
Glück reden, dass Commissario Contarini überhaupt noch
ein Zimmer
für sie bekommen hat.
Machen sie sich keine Sorgen. Ich habe selbst
mit ihrem Chef gesprochen.
Er kennt den Preis des Zimmers.“
Ein
etwa zwölfjähriger Junge stieß zu den Dreien und beendete das
Gespräch: „Papa, krieg ich ein Eis?“
„Da gibt es eine
Gelateria gleich um die Ecke.“
Elena Anardi schob die Drei in die
Sonne hinaus. Das Café war in wenigen Minuten erreicht. Sie setzten
sich
an einen der kleinen runden Tische auf der Holzterrasse mit
Blick über den Kanal auf La Giudecca.
Ausladende dunkelgrüne
Sonnenschirme spendeten Schatten, den auch andere Gäste genossen.
Offensichtlich Einheimische, stellte Losbichler fest. Leichter Anzug,
dunkle Sonnenbrille, diese italienischen
kleinen Kaffeetassen vor
sich, versteckten sie sich hinter einer auffälligen rosa Zeitung.
Claudia Losbichler, die dem schweifenden Blick ihres Mannes gefolgt
war, wunderte sich. Keiner schien sich
für diesen traumhaften Ausblick zu interessieren. Das Wasser glitzerte in der Sonne, Lastkähne tuckerten vorbei.
Nebenan legte eines dieser Schiffe an,
die ihr schon auf der Fahrt ins Hotel aufgefallen waren. Sie lehnte
sich zurück und beobachtete das Treiben.
„Papa, ich will ein Eis.“
Bernd Losbichler griff zur bereitliegenden Karte: Espresso,
Espresso doppio, Café coretto, Cappuccino.
Wenigstens
Letzteren kannte er. Und was war das andere alles? Er wollte doch nur
einen Kaffee.
Genervt legte er die Karte wieder beiseite. Gerade als er Elena Anardi danach fragen wollte, klingelte sein Handy.
„Klaus,
du! Was gibt´s Neues? – Ja, uns geht´s gut.“
Er stand auf und
ging ein Stück beiseite. Als er an den Tisch zurück kam, brachte
der Ober gerade
einen gigantischen Eisbecher und noch diverse
Getränke.
„Wir haben ihnen einen Latte
macchiato bestellt. Ich hoffe, es ist das Richtige. War es
wichtig?“,
wollte Elena wissen.
„Mein Kollege aus München.
Jemand hat die Wohnung eines der Opfer durchwühlt. Leider hat er
keine Spuren hinterlassen. Muss ein Profi gewesen sein. Wir wissen
nur noch nicht, ob der Einbruch Zufall war,
weil der Wohnungsinhaber
in Urlaub war, oder ob konkret etwas gesucht wurde, was mit unserem
Fall
hier zu tun hat. Und wenn ja, was. Es gibt sehr vage Hinweise,
die auf Rauschgift hindeuten könnten.
Das andere Opfer war wohl ein Waffensammler. Vielleicht kommen wir da weiter. Wir sollten ins Büro fahren.“
„Signor Losbichler, sie sind
in Italia!“
Elena breitete die Arme aus. „Es ist Freitag
Nachmittag, da ist niemand mehr im Büro. Montag wieder.
Trinken sie
ihren Kaffee, sie sehen immer noch blass aus. Haben sie schon Pläne
für das Wochenende?“
Völlig unbeachtet nahm am freigewordenen
Nachbartisch jemand Platz, in dem man bei genauem Hinsehen
den Fotografen vom Vortag erkennen konnte.
Wenn Sie neugierig auf die ganze Geschichte geworden sind, dann ist Weißwurst und Expresso genau
die richtige Lektüre für Sie.
Der Roman wartet bei Ihrem Buchhändler.